„Eines Tages wird der Vorlass zum Nachlass"
Das Stadtarchiv Waldshut-Tiengen hat die künstlerischen Werke des Journalisten, Buchautor, Liedermacher und Künstler Roland Kroell erhalten. Seine Kunstwerke unterschiedlichster Art hat Stadtarchivar Ingo Donnhauser in den Bestand aufgenommen und in den heiligen Hallen des Stadtarchivs gelagert. Stattsofa hat den Archivar zum Interview getroffen und ihn über die Besonderheiten eines sogenannten „Vorlasses“ befragt.
Stattsofa: Was passiert mit einem „Vorlass“ im Stadtarchiv? Stehen alle Dokumente den Archiv-Nutzenden zur Verfügung?
Ingo Donnhauser: Grundsätzlich fällt ein Vorlass unter die üblichen Regelungen der städtischen Archivnutzung. Ein Vorlass ist für die Öffentlichkeit freigegeben, mit Ausnahme von gewissen personenbezogenen Unterlagen, die private Informationen zu anderen noch lebenden Personen enthalten, sofern jene keine Einverständniserklärung abgeben haben. Dies gilt es im Einzelfall zu prüfen, besonders bei Dokumenten, die noch nicht besonders alt sind. Wir behandeln einen Vorlass wie andere Archivbestände auch.
Stattsofa: Warum ist ein „Vorlass“ für Stadtarchivare oft interessanter als ein Nachlass?
Ingo Donnhauser: Dies würde ich nicht behaupten wollen. Das kommt ganz auf die Interessen des Benutzers oder der Benutzerin an. Der Vorlass unterscheidet sich nur darin vom Nachlass, dass der ursprüngliche Besitzer noch nicht gestorben ist. Eines Tages wird der Vorlass zum Nachlass. Ein Nachlass kann sogar spannender sein als ein Vorlass, da der Besitz posthum per Zufall in die Hände des Archivs gelangt. Beim Vorlass entscheidet der Privatbesitzer, was er dem Archiv überlassen möchte. Beides hat Vor- und Nachteile. Interessant ist, zu beobachten, wie sich das Interesse an solchen Beständen entwickelt. Manchmal sind Menschen zu Lebzeiten hoch angesehen und geraten nach dem Tod in Vergessenheit oder andersrum.
Stattsofa: Welche Arten von historischen Dokumenten sind besonders interessant für das Stadtarchiv?
Ingo Donnhauser: Die Unterlagen sollen vor allem für die Nutzer und Nutzerinnen interessant sein. Zu den Aufgaben eines Archivars gehört, zu bewerten, was für spätere Generationen spannend sein könnte. Für Familienforscher sind Unterlagen zu ihren Vorfahren der größte Schatz, für alle anderen jedoch uninteressant. Bauakten sind für Privateigentümer von größtem Interesse. Lokale historische Zeitungen werden viel genutzt, da sie die erste Anlaufstelle und leichter zugänglich sind als handschriftliche Dokumente. Allerdings sind Zeitungen Druckwerke und keine Unikate. Für mich persönlich als Frühneuzeithistoriker sind Dokumente vor 1800 wie Ratsprotokolle, Sachakten der Stadtverwaltung und Urkunden sehr interessant. Kleine Schenkungen von Bürgerinnen und Bürgern wie Briefe von den Urgroßeltern sind besonders schön, da sie aus dem Leben gegriffen sind und historische Informationen enthalten, die persönlich gefärbt sind. Sie zeigen ein Bild aus früheren Zeiten von Menschen aus Fleisch und Blut auf und sind nicht so trocken.
Stattsofa: Kann der Vorlass an Bedingungen geknüpft werden? (z.B. Veröffentlichung erst nach dem Tod des Vorlassers, o.a.?)
Ingo Donnhauser: Ja. Wenn ein Vorlass erst nachdem Tod veröffentlicht werden darf, müssen vertragliche Regelungen getroffen werden. Aber ich lagere keine Bestände im Archiv, die noch Eigentum des Abgebenden sind. Entweder eine Schenkung oder gar nicht.