Das Räderwerk hinter RÄDERWERK
Die meisten Menschen denken bei „Schwarzwaldverein“ zunächst an Wanderungen und geselliges Miteinander. In Stühlingen ist der Ortsverein darüber hinaus für die Ausstellungen in der Schür am Stadtgraben bekannt. Im Gespräch mit Jutta Binner-Schwarz, Vorsitzende für Heimatpflege, blickt Stattsofa hinter die Kulissen der nächsten Sonderausstellung RÄDERWERK vom 17. Juni bis zum 3. Juli 2022.
Stattsofa: Wie kommt es, dass die Ortsgruppe Stühlingen sich der Industriegeschichte des Wutachtals annimmt?
Jutta Binner-Schwarz: Unsere Ausstellungen haben schon viele historische Aspekte der Stühlinger Geschichte beleuchtet. „RÄDERWERK“ ist seit 1993 unsere 34. Ausstellung. Das Thema ist zwangsläufig mit Mühlen- und Industriegeschichte verbunden. In der Zwirnerei an der Wutach drehen sich seit 1886 die Räder; im Gips- und Kalkwerk, der späteren Schraubenfabrik Heimburger, genannt „Schruubi“, ähnlich lang. Bis heute wird sorgt das durch ein Kanalsystem fließende Wutachwasser dafür, dass mit Hilfe von Wasserkraft und einem ausgeklügelten Räderwerk Strom erzeugt wird.
Wer uns kennt, weiß, dass wir nicht nur technische Gesichtspunkte berücksichtigen. Gleichzeitig spüren wir den in der Industrie und beim Bau der Wutachtalbahn beschäftigten Arbeiterinnen und Arbeitern nach. Endlich wissen wir mehr über die Geschichte des Mädchenheims, in dem junge, in Not geratene Frauen lebten, die in der Zwirnerei arbeiteten und von der Diakoniefürsorge betreut wurden. Spannend ist auch, wie die neue Mobilität der ärmeren Menschen durch den Zug oder das Fahrrad bewertet wurde. Der damalige Pfarrer stellte 1922 fest: „Das Wutachtal war früher sehr ruhig, abgeschlossen vom Verkehr und nun die Unruhe der Fabrikfahrer.“ Für uns sind das spannende Geschichten, die wir hier erzählen können. Und eine gute Zeit verbringen wir bei den Vorbereitungen auf und dann in der Ausstellung auch miteinander.
Stattsofa: Apropos Ausstellungsvorbereitungen, Sie und Ihre Mitstreiter arbeiten ja alle ehrenamtlich… Wie kann man sich die Vorbereitungen vorstellen?
Jutta Binner-Schwarz: Vor etwa einem Jahr traf sich unser Kern-Ausstellungsteam, bestehend aus Antonia Albrecht, Christina Leutze, meinem Mann Gerhard Schwarz und mir, zum Brainstorming, um dann die Themenbereiche festzulegen. Gerhard kreierte den finalen Titel. Ich begann mit der Recherche, um anschließend die Mehrzahl der Texte zu schreiben. Antonia Albrecht führte Interviews, Christina Leutze beschäftigte sich mit der Stromerzeugung. Helmut Heimburger verfasste die Firmengeschichte der „Schruubi“. Sammler Matthias Sochor sorgte für Erläuterungen zu mechanischem Spielzeug, Arnfried Winterhalder lieferte einen Zugerfahrungsbericht. Grafiker Helmut Heimburger entwirft ehrenamtlich das Plakat und das Layout für die Texte. Letztere werden dann von Marianne Würth gesetzt. Der eigentliche Aufbau erstreckt sich über mehrere Wochen. Nebenbei muss das Begleitprogramm mit Vorträgen, Führungen und Wanderungen erstellt und die Werbung angekurbelt werden.
Während der Ausstellungszeit sind viele Personen als Aufsicht, aber auch hinter der Theke unseres Cafés auf Zeit im Einsatz. Antonia Kramer-Diem, die sich als Vorsitzende um die Schür kümmert, organisiert diesen wichtigen Rahmen und ist während der Öffnungszeiten dauerpräsent. Es ist unglaublich, wie viele Menschen unsere Ausstellungen unterstützen, vergleichbar einem beeindruckenden Räderwerk!
Stattsofa: In der Schür am Stadtgraben haben Sie Originalexponate zusammengetragen, die aus Stühlingen und Umgebung stammten. Gibt es so etwas wie ein Lieblingsausstellungsstück, auf das Sie die Besucher besonders aufmerksam machen wollen?
Jutta Binner-Schwarz: Wir haben viele sehenswerte, sogar spektakuläre Objekte, von der Dampfmaschine über Fahrräder und Uhren bis hin zum Modell der Sauschwänzlebahn. Meine Lieblinge kommen eher bescheiden daher, bestechen aber durch ihre Geschichte. Zum einen ist dies das kleine, im Mannheimer Technoseum aufbewahrte Foto von Erna Philippi, die 20 Jahre lang das Stühlinger Mädchenheim geleitet hat. Ihre Lebensgeschichte bewegt mich sehr. Zum anderen sind es die wenigen „Schruube us de Schruubi“. Lange Zeit befürchteten wir, dass wir kein einziges Exemplar dieser Spezialanfertigungen aus der ehemaligen Schraubenfabrik Heimburger zeigen könnten. Umso glücklicher sind wir, dass wir nun eine kleine, feine Auswahl in der Vitrine präsentieren dürfen. Wie schnell die Spuren einer einst florierenden Firma verschwinden, war beeindruckend. Aber Hartnäckigkeit zahlt sich bekanntlich aus. Als erste haben die Stühlinger Narrenwecker ein Fass für uns aufgemacht. In diesem befanden sich Metallteile aus der Schruubi zum Krach machen.
Stattsofa: „Arbeiten und Spielen im Wutachtal“ lautet der Untertitel der Ausstellung. Nach all dem, was Sie im Zuge der Ausstellungsvorbereitungen erfahren haben: Würden Sie vielleicht doch für ein paar Wochen in der Vergangenheit arbeiten und spielen wollen?
Jutta Binner-Schwarz: Nicht wirklich, wenn ich auch der Meinung bin, dass die Möglichkeit in einer Fabrik zu arbeiten, wie ich es vor und während des Studiums getan habe, eine sehr gute und bereichernde Erfahrung sein kann. In ein Rennauto aus Blech oder eine scharfe Seifenkiste würde ich mich jederzeit setzen, um dem kindlichen Gefühl von Freiheit, Abenteuer und Besitzerstolz nachzuspüren.
Fragen: Eduardo Hilpert. Fotos: Schwarzwaldverein Stühlingen