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„Wer entscheidet, was Kunst ist?“

Flora und Fauna des Schwarzwalds mit anderen Augen sehen – Tom Thiedmann schärft in der Ausstellung „Vögel des Schwarzwalds“, ab dem 8. September 2024 im Kreismuseum St. Blasien, den Blick auf die unscheinbaren, heimischen Lebewesen und animiert den Betrachter, bewusster auf die Natur zu achten, die uns umgibt. Stattsofa hat den Künstler getroffen.

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Stattsofa: Was haben Eichelhäher, Kohlmeise und Amsel, dass sie als künstlerisches Motiv interessant macht? Bei allem Respekt, sind das nicht etwas langweilige Vogelarten?

Tom Thiedmann: Also, vorab muss ich Ihnen bei der Amsel schon recht geben, die is echt n bissl langweilig, allerdings auch nur in der bildlichen Darstellung. Die Vielfalt in ihrem Gesang zum Beispiel ist alles andere als langweilig. Aber gut, eine Amsel finden Sie in der Ausstellung eh nicht. Der Eichelhäher ist meiner Meinung nach einer der schönsten Vögel, die wir hier in Europa haben! Alleine die Maserung im Gefieder ist für mich unfassbar schön, daher fällt es mir schon schwer zu glauben, dass Sie diese Vogelarten langweilig finden. Allerdings ist es so wie mit allen Dingen: Was auch immer einen interessiert, ist es wert, genauer betrachtet zu werden. Ich finde die Natur schön. Ich finde Vögel und Pilze faszinierend und deswegen setze ich mich künstlerisch damit auseinander. Andere finden vielleicht Trash TV oder Autos interessant. Für die sind meine Sachen dann halt nichts, aber das ist auch total okay.

Einer der schönsten Vögel Europas: "Eichelhäher", Marker und Sprühdose auf Papier.

Stattsofa: Häufig werden Tiere anthropomorph dargestellt, also mit menschlichen Eigenschaften. Die diebische Elster, der stolze Gockel, und so weiter. Bei Ihnen scheinen die Tiere leicht entfremdet zu ihren natürlichen Pendants, aber nicht vermenschlicht. Geht es Ihnen einfach um eine ästhetisierende Darstellung?

Tom Thiedmann: Das haben sie ganz gut erfasst! Ich glaube, wenn man die Vogelarten kennt, kann man sie ohne Probleme zuordnen, allerdings fände ich es langweilig, sie hundert Prozent natürlich darzustellen. Dann könnte ich mich auch der Fotografie widmen. So finde ich, ist es abstrahiert genug, um den Werken die gewünschte Ästhetik zu geben, aber immer noch naturgetreu genug, um die Motive zu erkennen.

Tom Thiedmann: "Wer entscheidet, was Kunst ist und was Sachbeschädigung?"

Stattsofa: Sie sind Mitglied im Tätowierkunstverein. Warum wird der Tätowierkunst manchmal die Anerkennung als „echte“ Kunst verwehrt?

Tom Thiedmann: Die Anerkennung wird den Künstler*innen tatsächlich nicht „manchmal“, sondern von einigen verwehrt. Die allermeisten Menschen, die sich mit der Tätowierkunst beschäftigen, sind sich sicher, dass zumindest einige Tätowierende Kunstschaffende sind! Das allergrößte Problem für uns ist, dass wir staatlich keinerlei Anerkennung bekommen. Wir werden zum Beispiel von der Künstlersozialkasse - eine Krankenkasse für, unter anderem Kunstschaffende, die eingerichtet wurde, um Kunst und Kultur zu fördern - kategorisch abgelehnt. Und das ist, wenn man mich fragt, eine riesen Sauerei.

Stattsofa: Man hat den Eindruck, dass Streetart immer mehr von der Straße in die Museen und Auktionshäuser wandert: Akademische Studien erscheinen, der Kunstmarkt ist verrückt nach Leuten wie Banksy… Wie sehen Sie diese Entwicklung? Sind Sie selbst überhaupt noch auf der Straße unterwegs?

Tom Thiedmann: Sehen Sie, in Ihrer Frage steckt schon das eigentliche Problem. Es wird immer zwischen Streetart und Graffiti unterschieden, wenngleich die beiden Dinge überhaupt nicht trennbar sind. Wer entscheidet, was Kunst ist und was Sachbeschädigung? Streetart, wenn Sie es so nennen wollen, heißt nicht umsonst Streetart. Sie kommt von den Straßen und entfaltet auch ihre Wirkung nur im öffentlichen Raum, dafür ist sie gemacht. Und wenn irgendwelche elitären Kunsttrottel irgendwo eine Wand rausreißen, auf der ein kapitalismuskritischer Banksy ist, um sie dann in einem Auktionshaus zum Höchstpreis zu verschachern, dann haben diese Idioten den Punkt nicht verstanden.

"Was auch immer einen interessiert, ist es wert, genauer betrachtet zu werden."

Stattsofa: Schwarzwaldlandschaften, Trachten und Folklore erfreuen sich auch bei jungen Künstlern ungebrochener Beliebtheit. Ist das einfach die Nachfrage, die bedient wird? Was bedeutet Ihnen Heimat?

Tom Thiedmann: Eine sehr gute Frage zum Abschluss, da ich Ihnen da keine allgemeine Antwort geben kann. Heimat ist ein Gefühl, dass ich nicht beschreiben kann. Manchmal ist es ein Geruch, zum Beispiel frisch gemähte Felder im Sommer, oder wie der Wald riecht, wenn man an einem heißen Tag hindurch wandert. Manchmal ist es Gülle, die auf die Felder gespritzt wurde. Ich glaube das ist sehr, sehr individuell.
Was die Trachten, etc. angeht, glaube ich, gibt es das Bedürfnis, Traditionen und kulturelles Erbe neu zu denken. Frei von der ganzen Nazischeiße, kann man seine Verbundenheit mit der Region, in der man aufgewachsen ist, zeigen und mit allen Menschen, egal welcher Herkunft, Religion, sexueller Orientierung oder Hautfarbe teilen. Nur so können wir einen Raum schaffen, in der wir Vielfalt schätzen und trotzdem eine Gesellschaft für alle sind.

Fragen: Eduardo Hilpert, Fotos: Livia Kappler

Tom Thiedmann

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