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Jenseits der absoluten Wahrheit

Im Vorfeld seiner Ausstellung im Kreismuseum St. Blasien (Vernissage 7. Juni  2024, bis 31. August 2024) trifft Stattsofa den Künstler Michael Ehrhardt aus Waldshut. Ein Gespräch über seine Kunst und der Suche nach einer Bildsprache für eine Zeit schwindender Gewissheiten.

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Stattsofa: Im Kreismuseum St. Blasien stellen Sie Gemälde der Serie „West of Wisdom, South of Dream“ aus. Vor allem das Träumerische kommt in den surrealen Landschaften und in den fabelhaften Mischwesen, die diese Landschaften bevölkern, deutlich zum Ausdruck. Sehen Sie Analogien zwischen den 1920er Jahren, in denen der Surrealismus entstand, und der Gegenwart?

Michael Ehrhardt: Als der Surrealismus vor 100 Jahren entstanden ist, schrieb einer seiner Vordenker, André Breton, dass es die absolute Realität nicht gibt. Er meinte damit möglicherweise, dass jeder seine Umgebung aus der eigenen Sichtweise und Erfahrung heraus unterschiedlich bewertet. Heute leben wir in einer Welt, wo wir dank Fake News, Desinformation und täuschend echten KI-generierten Bildern nicht mehr wissen, was überhaupt real ist und verschiedene „Realitäten“ parallel existieren. Ich denke, dass Breton heute also möglicherweise noch mehr recht hat als zu seinen Lebzeiten.

Michael Ehrhardt: "Es wird schwieriger, klare Realitäten zu finden."

Stattsofa: Einsame Figuren umgeben von monumentalen Landschaften, Sonnenuntergänge, die zitierte Weisheit, die jenseits des Westens liegt... Der Betrachter scheint einer sich ankündigenden Götterdämmerung beizuwohnen. Kann man von einer Ästhetik des Niedergangs sprechen?

Michael Ehrhardt: Das ist ein sehr interessanter Gedanke. Ich würde es vielleicht eher eine Ästhetik der Verwirrung nennen. Dadurch, dass es schwieriger wird, klare Realitäten zu finden, wird es für jeden Einzelnen auch schwieriger sich in der Welt zu orientieren. Der Titel der Serie spielt darauf an, weil die festen Größen, von denen aus navigiert wird, eben nicht zu verorten sind. Die Navigation muss also in unseren eigenen Gedanken und sehr individuell erfolgen. Ich nenne meine Motive auch gerne psychologische Landschaften, auch weil die Hügel und Berge keinen Gegenpart in der Außenwelt haben.

Stattsofa: In Ihrer vorangegangenen Serie „Rheingold“ waren die Bezüge zur Nibelungensage explizit, nun entwerfen Sie eine eigene, persönliche Symbolik. Woraus entsteht sie? Tritt sie aus dem Unterbewussten hervor? Ist sie Abbild unserer Gegenwart? Oder gänzlich willkürlich?

Michael Ehrhardt: Das ist sehr unterschiedlich. Einige Bildideen kommen mir tatsächlich im Traum. Andere entstehen beim Skizzieren oder sind zufällige Funde beim Collagieren. Manchmal erschließt sich mir die Bedeutung auch erst lange nach Fertigstellung der Bilder. Manche Symbole sind auch direkte Verweise an meine künstlerischen Vorbilder, so gibt es einige Zitate von Max Ernst, René Magritte und Victor Brauner, etc. in der Ausstellung. Tatsächlich sind aber einige Arbeiten von jeweils tagesaktuellen Geschehnissen beeinflusst, wie vom Lockdown, den Krieg in der Ukraine oder den Aufstand im Iran.

Fabelhafte Mischwesen vor psychologischen Landschaften: "First of a kind", Acryl auf Leinwand, 2023.

Stattsofa: Konzipieren Sie Ihre Serien von Beginn an als solche, oder setzen sie sich erst im Entstehen der einzelnen Werke zusammen? Wie ist der Entstehungsprozess?

Michael Ehrhardt: Ich arbeite gerne in Serien, geplant habe ich bei dieser Serie aber überhaupt nichts. Es war eher so, dass ein erstes Bild entstanden ist, das dann einen Gegenpart benötigt hat. Dann wollte ich den einen oder andere Gedanken oder ein bestimmtes Motiv nochmal aufgreifen und so entstand nach und nach die Serie. Die Verbindung der Arbeiten liegt in wiederkehrenden Motiven, ähnlichen Farben und bestimmten Harmonien. Dabei möchte ich mich aber bei den Techniken nicht so genau festlegen und benutze die Materialien, die das Bild gerade braucht.

Stattsofa: Sie haben sowohl im Saarland als auch am Hochrhein mehrmals ausgestellt. Ist die Kunstpraxis überall gleich oder nehmen Sie Unterschiede wahr?

Michael Ehrhardt: Ich habe bereits an vielen Orten ausgestellt und auch schon im Saarland gelebt und jetzt am Hochrhein. Die Kunstpraxis ist vermutlich von Künstler zu Künstler zu individuell, um bestimmte Richtungen zu erkennen, aber die Szenen unterscheiden sich in meinen Augen tatsächlich. Die Kunstszene am Hochrhein habe ich zum Beispiel als aufgeschlossen und offen erlebt. Die Besucher hier nehme ich als sehr interessiert und neugierig auf Kunst wahr. Ich freue mich schon jetzt auf viele tolle Gespräche bei der Ausstellung.

Fragen: Eduardo Hilpert, Foto: privat.